Die Entscheidung liegt in Potsdam
„Sag mir nicht warum es nicht geht, sondern wie es gehen kann.“ Das berühmteste Regine-Hildebrandt-Zitat galt seit seinem Bestehen auch für das brandenburgische Sozialministerium, dessen Sitz in der Potsdamer Innenstadt auch ihren Namen trägt. Nun geht nichts mehr.
Ende September lagen zwei Ablehnungsbescheide für die in diesem Jahr gestellten Fördermittelanträge zur landesweiten HIV-Prävention und für den Aktionsplan „Raus aus der Grauzone“ im Postfach des schwul-lesbischen Vereins Bündnis Faires Brandenburg e. V. Mit der Ablehnung der Förderungen stehen Projekte vor dem Aus, die ausschließlich durch ehrenamtliche Tatkraft ziemlich viel für das Land Brandenburg in den letzten Jahren bewirkt haben.
Das Förderaus vernichtet quasi über Nacht den CSD Potsdam oder Informationsprojekte wie gayBrandenburg.de und LOVE SEX SAFE.de. Wichtige Selbsthilfegruppen, wie zum Beispiel das Transistor-Projekt für transsexuelle Menschen können nicht mehr organisatorisch und finanziell begleitet werden. Ebenso ist das Geschichtsprojekt „amico“ das u. a. die Geschichte des § 175 aufarbeitet, akut gefährdet. Mit Aufklärungsprojekten zu sexueller Identität und sexueller Gesundheit zogen die Engagierten durch das Land führten jede Menge Gespräche und verteilten Informationsmaterialien nebst einer großen Menge an Kondomen. Nun fällt noch ein landesweiter Akteur als Ansprechpartner für Jugendeinrichtungen und Schulen aus.
Insbesondere für die Brandenburger Aidsberatung ist die jetzige Situation ein herber Schlag. Mit den Beratungsstellen in Potsdam und Cottbus haben insbesondere schwule Menschen einen kompetenten Ansprechpartner, wo sie sich auch anonym und kostenlos auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen können. Die Beratungsstellen sind nicht nur wegen der differenzierten Testangebote besonders gefragt, sondern auch wegen ihrer schwulen Berater und schwulen Hilfsangebote, die so in einem Gesundheitsamt oder beim Arzt nicht vorgehalten werden. In diesem Jahr haben sich die Test- und Beratungszahlen zum jetzigen Zeitpunkt um 50 % gegenüber dem Vorjahr erhöht. Dass die Beratungsangebote auch von HIV-Positiven genutzt werden, versteht sich schon fast von selbst. Auf Grund der ländlichen Struktur Brandenburgs mit HIV wenig-erfahrenen Hausärzten und eher schwer erreichbaren Berliner HIV-Schwerpunktpraxen sind die Berater in den Beratungszentren für die Betroffenen bei allen Fragen rund um HIV oft die einzigen Ansprechpartner.
„Mit der Einstellung der Förderung gehen seit vielen Jahren gewachsenen Kompetenzen verloren, denn viele der Projekte haben in Brandenburg ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal und sind nicht einfach mal auf die Schnelle zu ersetzen“, so Jirka Witschak Vorsitzender des Vereins. „Über die jahrelange Arbeit in ihren ureigenen Projekten, haben sich die jeweiligen Organisatoren der Projekte persönlich und vor allem inhaltlich weiterentwickelt. Wenn sie keine Handlungsoptionen mehr haben, weil die wenigen Gelder wegfallen, bleibt nicht mehr viel übrig “, stellt Witschak weiterhin fest.
Wie ist es zu diesem Notstand der lesbisch-schwulen Strukturen gekommen? Hier gehen die Interpretationen der beteiligten Seiten weit auseinander. Denn die Lage ist unklar. Unbestreitbarer Fakt ist, dass die Begründung der Ablehnung der beantragten Förderungen durch das zuständige Landesamt für Soziales und Versorgung in Cottbus explizit lautet: „Das LASV bittet um Verständnis, dass aufgrund einer anderen Prioritätensetzung eine Förderung lhres Projekts nicht möglich ist.“ Der zuständige Mitarbeiter im Referat des Sozialministeriums in Potsdam hingegen hat nun kurzfristig vor wenigen Tagen, eine andere Begründung angeführt: „… liegen die Ursachen für die jetzt getroffene Entscheidung nicht in den fachlichen Aktivitäten des BFB begründet, sondern in den seit längerer Zeit bestehenden zuwendungsrechtlichen Problemen bei der Verwendung und Abrechnung der bewilligten Fördermittel.“
Das sieht der Verein etwas differenzierter. Richtig ist, dass anfänglich für die Förderzeiträume 2012 und 2013 Probleme gegeben hat, bei der Frage der Einhaltung von Fristen. Allerdings werden seit dem Jahr 2014 alle Verwendungsnachweise rechtzeitig und sogar vorfristig abgegeben. Tatsächlich bestehen noch verfahrenstechnische Fragen zu den Anträgen die in den Anfangsjahren 2012 und 2013 gefördert wurden. Diese befinden sich aber in Zusammenarbeit mit der Cottbusser Behörde in der Klärung. Auch hier werden alle Fragen fristgerecht oder fristwahrend vom Verein beantwortet. Derzeit gibt es keine rechtskräftigen Bescheide zu den gestellten Fördermittelanträgen, zumal alle Schreiben an den Verein Bündnis faires Brandenburg e. V. zu den offenen Abrechnungsfragen weit nach der Entscheidung zu der Ablehnung der diesjährigen Fördermittelanträge ergangen sind.
Die zuständige Staatssekretärin im Sozialministerium Hartwig-Tiedt lehnte eine Bitte um ein kurzfristiges Gespräch ab. Ebenso der zuständige Referent. Dieser besteht auf der vollständigen Klärung aller Abrechnungsfragen aus laufende Verwendungsprüfungen - auch wenn diese noch gar nicht fällig bzw. endgültig festgestellt oder rechtskräftig sind. Dann könnte es allerdings zu spät sein, denn diese brauchen Zeit und die Prüfungen von 2014 hat das Landesamt ja noch gar nicht angefangen. Der Verein lebt deshalb seit Anfang des Jahres von Eigenmitteln und Spenden. Die Ressourcen sind jetzt verbraucht.
Inzwischen befasst sich hinter den Kulissen die Linkspartei mit der Thematik. Ob das hilft, ist sich Witschak unsicher. Wenn schon die Zuständigen in der Behörde und im Ministerium sich nicht einig sind und unterschiedliche Informationen die Runde machen, auf welcher Grundlage soll da dann durch die Politik gehandelt werden?
Haushaltsverhandlungen stehen erst wieder für 2017 an, insofern bleibt zur Rettung nur eine kurzfristige politische Entscheidung zur Verwendung von Projektmitteln aus der Lottoabgabe, wie es bei anderen gefährdeten Projekten auch praktiziert wurde. Ob noch etwas gehen wird? Den Engagierten der Brandenburger Community wäre es zu wünschen.