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DIE DEKLARATION VON OSLO

DEKLARATION VON OSLO ÜBER DIE KRIMINALISIERUNG VON HIV

VERFASST VON INTERNATIONALER ZIVILGESELLSCHAFT
IN OSLO, NORWEGEN, 13. FEBRUAR 2012


WER STEHT HINTER DER DEKLARATION VON OSLO?
Wir sind eine Gruppe von Einzelpersonen und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt, die besorgt sind angesichts der unangemessenen und ausufernden Anwendung des Strafrechts, bei der Menschen mit HIV für ein Verhalten verurteilt und bestraft werden, das in anderen Zusammenhängen als rechtmäßig eingestuft werden würde.

Unser Bestreben ist es, dieses Unrecht zu beenden. Zu uns zählen Menschen, die mit HIV leben, und wir werden von engagierten Fürsprechern aus dem HIV-Bereich unterstützt. Unsere Expertise umfasst medizinisches, soziales, ethisches, politisches, menschenrechtliches und juristisches Fachwissen in Bezug auf HIV und Strafrecht. 

DIE DEKLARATION VON OSLO

Erstens
  • Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die Kriminalisierung der Nichtoffenlegung der HIV-Infektion, der potenziellen Exposition und der nicht vorsätzlichen Übertragung von HIV mehr Schaden anrichtet, als dass sie der öffentlichen Gesundheit und den Menschenrechten nutzt.

Zweitens

  • Eine bessere Alternative zur Anwendung des Strafrechts sind Maßnahmen, die ein Umfeld schaffen, das es Menschen ermöglicht, sich testen, unterstützen und rechtzeitig medikamentös behandeln zu lassen und ihren HIV-Status unbeschadet zu offenbaren.

Drittens

  • Obwohl das Strafrecht in seltenen Fällen – wenn jemand in böswilliger Absicht HIV übertragen will – eine begrenzte Rolle spielen kann, bevorzugen wir, wenn Menschen mit HIV ab dem Zeitpunkt ihrer Diagnose so unterstützt und bestärkt werden, dass auch diese seltenen Fälle verhindert werden können. Dies erfordert einen nicht verurteilenden, nicht kriminalisierenden HIV-Präventionsansatz aus den Communitys, die das beste Wissen und Verständnis von HIV haben.

Viertens

  • HIV-spezifische Strafgesetze sollten gemäß den Empfehlungen von UNAIDS aufgehoben werden. Falls nach sorgfältiger evidenzbasierter Revision auf nationaler Ebene HIV-bezogene Strafverfolgungen immer noch als notwendig erachtet werden, sollten sie gemäß den Prinzipien von Verhältnismäßigkeit, Voraussehbarkeit, Vorsatz, Kausalität und Gleichbehandlung erfolgen, auf dem neuesten Stand wissenschaftlicher und medizinischer Erkenntnisse zu HIV gründen, schadens- statt risikobasiert sein sowie mit den Zielen der öffentlichen Gesundheit und den Verpflichtungen zur Einhaltung der allgemeinen Menschenrechte in Einklang stehen.

Fünftens

  • Wo für HIV-bezogene Strafverfolgungen allgemeines Recht angewendet werden kann oder angewendet wird, sollte die genaue Beschaffenheit der Rechte und Pflichten von Menschen mit HIV klargestellt werden – idealerweise durch juristische und polizeiliche Richtlinien, die unter Einbeziehung von Interessenvertretern aller Beteiligten erstellt werden, um sicherzustellen, dass polizeiliche Ermittlungen angemessen sind und Menschen mit HIV Gerechtigkeit zuteil wird.

    Wir bitten Gesundheits- und Justizministerien sowie andere relevante Entscheidungsträger und Akteure des Strafrechtsystems respektvoll, bei jedweden Überlegungen, ob bei HIV-bezogenen Fällen das Strafrecht angewendet werden soll oder nicht, auch Folgendes zu berücksichtigen:

Sechstens

  • HIV-Epidemien werden durch nicht diagnostizierte HIV-Infektionen angetrieben und nicht durch Menschen, die ihren HIV-positiven Status kennen. Ungeschützter Sex kann viele Folgen haben – positive und negative – einschließlich des Risikos einer sexuell übertragbaren Infektion wie HIV. Aufgrund der hohen Anzahl nicht diagnostizierter Infektionen führt die Strategie, sich selbst schützen zu wollen, indem man sich darauf verlässt, dass der andere seinen HIV-positiven Status offenlegt – wie auch die Verurteilung von Menschen wegen nicht offengelegtem HIV-Status – zu einem Gefühl falscher Sicherheit.

Siebentens

  • HIV ist nur eine von vielen sexuell übertragbaren oder ansteckenden Krankheiten, die langfristigen Schaden anrichten können. HIV durch Sondergesetze oder Strafverfolgung herauszuheben, führt zu einer weiteren Stigmatisierung der mit HIV direkt und indirekt lebenden Menschen. HIV-bezogenes Stigma ist das größte Hindernis, um sich testen zu lassen, eine medizinische Behandlung zu beginnen und sich zu offenbaren, aber auch für den Erfolg eines Landes auf dem Weg zu „null Neuinfektionen, null Aids-Todesfällen und null Diskriminierung“.

Achtens

  • Strafgesetze ändern kein Verhalten, das tief in komplexen sozialen Gegebenheiten verwurzelt ist, besonders kein Verhalten, das auf sexuellem Verlangen basiert und durch HIV-bezogenes Stigma beeinflusst wird. Solches Verhalten ist veränderbar durch Beratungs- und Unterstützungsangebote für Menschen mit HIV, die auf Gesunderhaltung, ein Leben in Würde und Empowerment zielen.

Neuntens

  • Weder das Strafrechtssystem noch die Medien sind zurzeit gut auf den Umgang mit HIV-bezogenen Fällen vorbereitet. Die entsprechenden Behörden sollten angemessene HIV-bezogene Fortbildungsmaßnahmen für Polizei, Staatsanwälte, Verteidiger, Richter, Schöffen und die Medien sicherstellen.

Zehntens

  • Ist der HIV-Status einer Person erst einmal unfreiwillig in den Medien offengelegt worden, wird dieser Sachverhalt für immer durch eine Internetsuche auffindbar sein. Menschen, die wegen HIV-bezogener „Taten“ angeklagt sind, für die sie keine Schuld tragen beziehungsweise nicht schuldig gesprochen werden sollten, haben ein Recht auf Privatsphäre. Für die öffentliche Gesundheit ergeben sich keine Vorteile, wenn diese Menschen in den Medien benannt werden. Falls frühere Partner aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu informieren sind, sollten dabei Regeln eingehalten werden, die ethischen Ansprüchen genügen und Vertraulichkeit gewährleisten.

>Deklaration mitzeichnen<


WAS IST DER AKTUELLE STAND BEZÜGLICH DER KRIMINALISIERUNG VON HIV?

Strafverfolgung findet in vielen Ländern der Welt statt, entweder mit HIV-spezifischen Strafgesetzen oder mit einer großen Bandbreite von oft unangemessenen, allgemeinen Strafgesetzen.
  • Die meisten Strafrechtsfälle werden von den Anklägern und den Medien als Fälle von „absichtlicher“ oder „vorsätzlicher“ HIV-Übertragung dargestellt, während es bei der überwiegenden Zahl der Fälle weder „bösartigen Vorsatz“ noch eine vermutete oder sogar bewiesene Übertragung von HIV gegeben hat.
  • In den vergangenen Jahren sind sowohl die Zahl der Strafverfolgungen als auch die Zahl von neuen HIV-spezifischen Strafgesetzen angestiegen15, und das, obwohl die Strategie des öffentlichen Gesundheits-Sektors gegen HIV – basierend auf einem menschenrechtlichen und evidenzbasierten Ansatz16 – die Anzahl der Neuinfektionen maßgeblich gesenkt und die Lebensqualität von Menschen mit HIV stark verbessert hat.
  • Im Bewusstsein der wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritte im HIV-Bereich überdenken jedoch nun mehrere Länder ihren bisherigen Umgang in der Anwendung des Strafrechts.

WIE SCHADEN HIV-BEZOGENE STRAFGESETZE UND STRAFVERFOLGUNG DEN BEMÜHUNGEN DER HIV-PRÄVENTION?

Viele Experten haben angesichts des großen Schadens, den ein regulativer und Strafrecht-basierter Ansatz für die HIV-Prävention nach sich zieht, ihre Bedenken angemeldet. Insbesondere gibt es Anzeichen für negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit durch:

  • falsche Darstellungen und Überbewertungen von HIV-bezogenen Risiken und Schädigungen. Dies führt zu weiteren Mythen über HIV, inklusive Übertragungsrisiken und wie man sich am besten schützen kann. wachsendes, HIV-bezogenes Stigma. Dies hat Auswirkungen darauf, ob sich eine Person über HIV informieren und darüber sprechen möchte.
  • das Ausblenden der Bedeutung von individuellem Wissen und eigener Verantwortung als Schlüsselkomponenten eines HIV-Präventionsansatzes. Der Schutz vor einer HIV-Übertragung in einer mit beiderseitigem Einverständnis bestehenden sexuellen Beziehung ist eine gemeinsame Verantwortung – und sollte auch als solche wahrgenommen werden.
  • die abschreckende Wirkung, die Menschen davon abhalten kann, ihren HIV-Status wissen zu wollen. Nicht diagnostizierte (und daher unbehandelte) HIV-Infektionen schaden der Gesundheit des Betroffenen und der öffentlichen Gesundheit.

WIE SCHADEN HIV-BEZOGENE STRAFGESETZE UND STRAFVERFOLGUNG DEN MENSCHENRECHTEN?

Es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass solche Gesetze und Strafverfolgung einen negativen Einfluss auf alle mit HIV lebenden Menschen haben, weil sie:

  • für Verwirrung und Angst hinsichtlich der Rechte und gesetzlichen Pflichten sorgen.
  • Menschen davon abhalten, Sexualpartnern ihren HIV-positiven Status zu offenbaren.
  • Menschen davon abhalten, Fachkräften des Gesundheitswesens ihr HIV-bezogenes Risikoverhalten zu offenbaren.

Ferner lassen Berichte aus aller Welt vermuten, dass:

  • Strafverfolgung und Ermittlungen selektiv und willkürlich erfolgen.
  • unsachgemäße und unsensible polizeiliche Ermittlungen zu unangemessener Offenlegung des HIV-Status, Verlust des Arbeitsplatzes und schwerem Leid führen können.
  • in den Medien eine stigmatisierende Berichterstattung stattfindet, bei der Namen, Adressen und Fotos von Menschen mit HIV veröffentlicht werden, die noch keiner Straftat für schuldig befunden wurden.
  • mit HIV lebenden Menschen nur eingeschränkt Gerechtigkeit zuteil wird.
  • Verurteilungen ergehen und Strafen verhängt werden, die oft in keinem Verhältnis zum möglichen oder tatsächlichen Schaden stehen.

WARUM SCHADET DIE KRIMINALISIERUNG VON HIV VOR ALLEM FRAUEN?

Politiker und andere Entscheidungsträger mögen annehmen, dass sie Frauen schützen, indem sie HIV-spezifische Gesetze vorschlagen und verabschieden. Aber Kriminalisierung von HIV schützt Frauen nicht vor Nötigung oder Gewalt. Gesetze, die Frauen durch das Schaffen sozialer, rechtlicher und finanzieller Gleichberechtigung stärken und Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen, hingegen schon.

Die Kriminalisierung von HIV schadet Frauen mehr, als dass sie ihnen hilft, weil:
  • Frauen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit strafrechtlich verfolgt werden, da sie, aufgrund von routinemäßigen HIV-Tests während einer Schwangerschaft, oft die ersten in einer Beziehung sind, die von ihrem HIV-Status erfahren, und sie weniger wahrscheinlich dazu in der Lage sind, ihren Partnern ihren HIV-positiven Status unbeschadet offenbaren zu können. Dies ist eine Folge von ungleichen Machtverhältnissen, wirtschaftlicher Abhängigkeit und einem hohen Grad geschlechterbasierter Gewalt innerhalb von Beziehungen.
  • Frauen mit HIV unter Umständen davon abgehalten werden können, schwanger zu werden, und/oder mit Strafverfolgung wegen der Übertragung von HIV auf ihr Kind im Mutterleib oder beim Stillen rechnen müssen. Dies beschränkt ihre reproduktive Entscheidungsfreiheit und ihre diesbezüglichen Rechte.

WARUM DER NAME „DEKLARATION VON OSLO“?

Wir haben uns in Oslo (Norwegen) getroffen, am Vorabend der „High Level Policy Consultation on the Science and Law of the Criminalisation of HIV Non-disclosure, Exposure and Transmission“. Dieses Spitzentreffen wurde von der norwegischen Regierung und dem Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS) einberufen. Ziel war, ein weltweites Forum zu schaffen, in dem sich politische Entscheidungsträger und andere betroffene Beteiligte über ihre derzeitigen Gesetze und Richtlinien in Bezug auf die Kriminalisierung der Nicht-Offenlegung der HIV-Infektion, Exposition oder Übertragung von HIV beraten können, auf Grundlage der neuesten und relevanten wissenschaftlichen, medizinischen, rechtlichen und die öffentliche Gesundheit betreffenden Daten.

Obwohl unsere Deklaration kein offizielles Dokument der High Level Policy Consultation ist, unterstützen wir die Ziele dieses Treffens. Wir möchten politische Entscheidungsträger dazu ermutigen, ihre eigenen Gesetze und Richtlinien zu überprüfen, und alle nötigen Schritte zu veranlassen, um bestmögliche Ergebnisse in Bezug auf Gerechtigkeit und Schutz der öffentlichen Gesundheit zu erlangen, um effektive, nationale Strategien gegen HIV zu implementieren und die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen aufrecht zu erhalten.


Quelle & Dank für die Aufbereitung: ondamaris
Weiterführende Links:

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