Verhütungspille für Schwule?
Neue Studie aus den USA - Eine tägliche Tablette könnte eine HIV-Ansteckung verhindern
(Gaybrandenburg - Gesundheit) Truvada ist ein Medikament, das schon länger zur Behandlung von HIV-positiven Patienten eingesetzt wird. Dieses Medikament könnte homosexuelle und bisexuelle Männer vor einer Ansteckung mit dem Virus schützen. Zu diesem Ergebnis ist ein Forscherteam unter der Leitung von Robert M. Grant von den Gladstone Institutes gekommen. Im Rahmen der aktuellen Studie namens iPrEx wurde untersucht, ob durch die Einnahme auch eine Infektion verhindert werden kann. Die Teilnehmer stammten aus Peru, Ecuador, Brasilien, Südafrika, Thailand und den USA. Eine Hälfte erhielt das Medikament, die andere ein Blindpräparat. Zusätzlich wurden Kondome und Beratung zu Safer Sex angeboten.
Die Studie hat herausgefunden, dass die Einnahme einer Tablette Truvada pro Tag die Ansteckungsrate für HIV um bis zu 90 Prozent senken kann.
In der Studie, die in der letzten Ausgabe der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine (NEJM) publiziert wurde, berichteten Forscher über hunderte homosexueller Männer, denen eine Chemoprophylaxe verschrieben wurde und die im Vergleich zur Placebo-Gruppe eine 44 prozentige Verminderung der HIV-Ansteckungsgefahr hatten.
Bei denjenigen, die die Chemoprophylaxe regelmäßig einnahmen, konnte die Ansteckungsgefahr um mehr als 90% gesenkt werden. Bei dieser Berechnung wurde die kontinuierliche Einnahme durch Messungen des Blutzuckerspiegels nachgewiesen. “Das ist ein sagenhaftes Resultat,” so Dr. Anthony S. Fauci von den National Institutes of Health, die zusammen mit der Bill and Melinda Gates Foundation für die Finanzierung und Durchführung der Studie verantwortlich waren.
Die Nachricht vom Erfolg der Studie ist die beste Neuigkeit in der AIDS-Forschung seit vielen Jahren. Dass das dafür verwendete Medikament, Truvada, eine Kombination aus Tenofovir und Emtricitabin, bereits in den meisten westlichen Ländern zugelassen ist, macht die Resultate der Studie noch erfreulicher.
Der Schutz, der durch Truvada ausgeübt wird, ist unter dem Namen “pre-exposure prophylaxis” oder “PreP” bekannt und ist vor allem auch für Männer geeignet, die beim Ausüben des Geschlechtsverkehrs kein Kondom benutzen können, beispielsweise weil sie in Folge von Zuckerkrankheit, Nervenerkrankungen oder Rückenproblemen auch Erektionsprobleme haben – also eine Zivilisationskrankheit, die fast jeden Mann erwischen kann. “Es ist eine Form von Schutz, die keine Einwilligung vom Partner verlangt,” meint Phill Wilson, Präsident des Black AIDS Institute, “und das ist wichtig.”
Da Truvada bereits in vielen Ländern erhältlich ist, geben es die Kliniker teilweise jetzt schon als Prophylaxe ab. Ob dies aber offizielle Politik wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab und wird Grundsatzdiskussionen auf allen Ebenen auslösen. Ein solcher Prozess könnte Jahre in Anspruch nehmen.
Aus diesem Grund geht das Center for Disease Control and Prevention (CDC) davon aus, dass immer mehr Ärzte die Tablette präventiv verschreiben werden, jetzt wo die Studie publiziert wurde. “Die Resultate sind sehr ermutigend,” meint Dr. Fenton. “Es ist aber für homosexuelle Männer noch nicht der richtige Zeitpunkt, die Kondome wegzuwerfen.”
Die Studie umfasste bislang nur homosexuelle Männer und nur das Produkt Truvada. Neue Studien werden zeigen müssen, ob die Resultate wiederholt werden können und ob auch heterosexuelle Männer und Frauen oder andere Risikogruppen vom prophylaktischen Nutzen der Killerkombination in Truvada profitieren. Ausserdem sollten weitere antivirale Medikamente in die Studien einbezogen werden.
Medizinisch gibt es allerdings keinen Grund an der Wirksamkeit von Truvada in anderen Risikogruppen zu zweifeln, da die Wirkstoffe das Virus im Blut und nicht organgebunden attackieren. Die mögliche Wirkung der situationsbezogenen Einnahme (beispielsweise vor dem Geschlechtsverkehr) sollte ebenfalls untersucht werden. Nicht zuletzt wären damit dramatische Kosteneinsparungen zu erzielen.
Obwohl die Tablette keine besonderen Nebenwirkungen gezeigt hat, gab es Männer, die sich über Schwindel und Kopfschmerzen beklagten.
Die grosse Frage bleibt in diesem Zusammenhang wer für die Therapiekosten aufkommen wird. In den USA kostet eine Jahresbehandlung mit Truvada 12000 bis 14.000 Dollar, in Deutschland 730-840 EUR im Monat. In einigen Entwicklungsstaaten liegen die Kosten für die gleiche Therapie mit einem Generikum bei 40 Cents pro Pille. Vermutlich würde erst mit einem entsprechend grossen Absatzmarkt die Preise soweit sinken, dass sie die Kosten eines Markenkondoms erreichen.
Ein kleiner Wermutstropfen verbleibt bei all der Euphorie. Was passiert mit dem Virus, wenn man Millionen von Personen die Therapie verabreicht? Einige Fachleute halten eine Beschleunigung evolutorischer Vorgänge für wahrscheinlich, was den Nutzen der Prophylaxe in wenigen Jahren deutlich schmälern würde. Aufgrund der Studiendaten gibt es allerdings keinen Grund, von einem solch pessimistischen Szenario auszugehen. Keiner der 2.499 Studienteilnehmer entwickelte nämlich eine Resistenz gegen Tenofovir und nur drei bekamen eine Resistenz gegen Emtricitabin. Die Forscher glauben jedoch, dass bei allen dreien bereits zum Zeitpunkt des Studienbeginns eine Infektion vorlag, die aber so frisch war, dass sie durch den HIV-Test nicht herausgefiltert wurden.