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Wir wollen uns hier treffen und in diesem Haus frei sein

TomAndreas

Tom Canning
Tom ist Entwicklungsdirektor des Jerusalem Open House for Tolerance and Pride (“Offenes Haus für Toleranz und Stolz”). 6 Mitarbeiter, davon nur 1 in Vollzeit, hauptsächlich spendenfinanziert, erst seit 2 Jahren Geld von der Regierung, aber nur etwa 10% des tatsächlichen Bedarfs, anfangs vor allem als ein Treffpunkt dringend notwendig, weil es in Zeiten ohne Internet sonst nichts gab für LSBT, existiert seit 13 Jahren jährlicher Pride March (Stolz Marsch) seit 2002.
Jerusalem Hous of Pride and Tolerance | Facebookseite

Andreas Büttner
Andreas Büttner ist Fraktionsvorsitzender der FDP-Landtagsfraktion im Landtag Brandenburg. Gleichzeitig ist er Vorsitzender des uckermärkischen UMQueer e.V. Bei einem Besuch Israels lernten sich die beiden Gesprächspartner kennen. Auf Einladung von Andreas Büttner weilt Tom Canning nun in Deutschland. Ziel ist es unter anderem Spenden für das Jerusalem Hous of Pride and Tolerance in Deutschland zu sammeln. Andreas Büttner | Facebookseite


Bilder zur Veranstaltung


.... Gedächtnisprotokoll; aufgeschrieben von Marcina (Queer Factory Potsdam)
Jerusalem ist aufgeteilt in die besetzte Zone der Palästinenser und die Zone der Juden (allerdings ohne sichtbare Grenzen, es sind vielmehr Grenzen in den Köpfen). Es leben dort die drei Weltreligionen Christen, Muslime und Juden zusammen. In der Stadt leben diese ohne großen Kontakt untereinander, im Open House kommen aber Lesben, Schwule etc, aus allen Religionen und mit verschiedensten Abstammungshintergründen zusammen. Es gibt also nicht nur viel Gesprächsstoff rund um das Thema sexeuelle Identität, sondern dort treffen zusätzlich verschiedene Kulturen aufeinander.

 

gay-Bars in Jerusalem sind ganz anders als in Deutschland. In Jerusalem findet man dort nicht nur schwule Männer oder nur lesbische Frauen, sondern teilweise Christen, Juden, Palästinenser, Araber und viele weitere - manche gläubig, manche nicht. Die Vielfalt ist beeindruckend.

Langsam gibt es auch in den Medien positiv dargestellte, nicht-heterosexuelle Inhalte. Der ESC hat dabei viel erreicht, v.a. Dana als Trans*, denn vorher war es in Israel völlig unbekannt, dass es Transidentität/ Transsexualität überhaupt gibt.

Auf die Frage, ob eine Liebe so wie im Film “out of the dark” realistisch sei oder dies eher nur romantisch dargestellt wurde, antwortete Canning, dass so etwas auch tatsählich passiert oder passieren kann, dass aber ein Zusammenleben nur im Ausland möglich wäre wegen nicht zu bekommender Aufenthaltsgenehmigungen. Vielen homosexuellen Paaren wird durch Organisationen auch die Ausreise in skandinavische Länder ermöglicht, um überhaupt zusammen leben zu können, erklärt Burghart Mannhöfer (Fotograf der Ausstellung “gayPride - Tel Aviv)

Die Politiker sind wenn sie im Ausland sind nach eigener Aussage seeehr aktiv für nicht-heterosexuelle Menschen, sprechen oft darüber und fördern Aktivitäten. Aber im Inland,z.B. in der Knesset, dem israelischen Parlament, hört man sie nie darüber sprechen und nur selten etwas dafür tun. Seit Kurzem gibt es eine sehr kleine finanzielle Unterstützung für das Open House seitens der Regierung. Firmen allerdings scheuen die offizielle Unterstützung aufgrund der wirtschaftlichen Folgen. Würde ein Unternehmen offiziell an das Jerusalem Open House spenden, so könnte sie das wichtigste Wirtschaftszertifikat der koscheren Gesellschaft verlieren - und damit etwa 50% ihrer Kunden.

Die Gesellschaft ist schon viel weiter als die Politiker - z.B. erzählt Canning von einem mit ihm befreundeten Ehepaar, das in eine arabische Stadt gezogen ist und immer versuchte zu verstecken, dass es ein Liebespaar ist. Eines Abends rief ein Nachbar ihm zu: “Komm mal rein, wir wollen mit dir reden und haben Kaffee gemacht.” Etwas ängstlich, schon überlegend, ob ihm vielleicht sogar Gewalt angetan wird, kommt er dieser Einladung nach. Im Wohnzimmer sitzen auch die Frau des Nachbarn und Kinder. Nach ein paar Gesprächsminuten fragt der Nachbar: “Und - dieser Mann, der bei dir wohnt, ist dein Ehemann oder?” Er sagt zögerlich “Ja.” “Warum hast du uns das denn nie erzählt? Wir freuen uns doch so, dass wir euch als Nachbarn haben und haben damit gar kein Problem!”  Die Bevölkerung in Jerusalem ist teilweise also sehr viel offener als man denkt.

Gleichzeitig ist die Gesetzgebung für Akzeptanz von LSBT zwar seit 1988 mehr und mehr vorhanden, aber die Menschen sind größtenteils noch lange nicht so weit. Regenbogenfahnen werden verbrannt, es gibt Ausschreitungen gegen Homosexuelle und ein Outing ist meist unmöglich wegen der gesellschaftlichen Folgen und der Lebensgefahr.

Außerdem ist die Heirat für nicht-Heterosexuelle sehr schwierig, allerdings genauso wie für Menschen, die keiner Kirche angehören, denn es gibt in Israel keine Zivil-Ehe. Entweder man heiratet also kirchlich (was natürlich als nicht-hetero Paar nicht möglich ist) oder man muss im Ausland heiraten. Im Ausland geschlossene Ehen werden aber im Land anerkannt - das gilt für Nicht-Gläubige, Heterosexuelle wie für Homosexuelle gleichermaßen. Cannings Eltern mussten auch im Ausland heiraten, weil sie verschiedenen Konfessionen angehörten und diese Ehe in Israel anerkennen lassen. Adoptionen können auch nur im Ausland durchgeführt und dann in Israel anerkannt werden. Weitere Gesetze verbieten die Diskriminierung in der Armee oder an allen anderen Arbeitsplätzen, stellen Homosexuelle in Erbschafts und medizinischen Fragen gleich, außerdem werden durch Homophobie motivierte Verbrechen als Hassverbrechen eingestuft, was zur Verdopplung des Strafmaßes führt.

Aber leider ist die praktische Umsetzung dieser Gesetze noch lange nicht gewährleistet. Gerade in der Armee wagt es niemand, sich zu outen, denn es gibt zwar eine Hilfehotline, aber die nutzt einem auch nichts, wenn man ausgegrenzt  und gemobbt wird oder gar um sein Leben fürchten muss, wenn man beispielsweise an einer gefährlichen Grenze steht. In Jerusalem gibt und gab es LSBT. Aber keiner wollte deren Existenz wahrhaben oder gar damit zu tun haben. Das Open House wurde vor 13 Jahren gegründet, um einen sicheren Ort und vor allem Treffpunkt für LSBT zu schaffen und dafür zu sorgen, dass Antidiskriminierungsgesetze ganz langsam auch in die Tat umgesetzt werden.

Es gibt eine unausgesprochene Vereinbarung im Open House für alle, die dort Zuflucht suchen: “Wir wollen uns hier treffen und in diesem Haus frei sein. Aber keiner will sich draußen outen, keiner will sein Umfeld gar verändern, die Gefahr ist noch viel zu groß.”

Trotz dieser Vereinbarung fanden sich einige Mutige zusammen, um 2002 den ersten Pride March zu veranstalten. In ganz Israel gab es bis dahin nur den CSD in Tel Aviv, ansonsten keine Veranstaltung mit dem Schwerpunkt auf nicht-heterosexuelle Lebensweisen. Es gab sehr viel Gegenwehr. Vor allem am Anfang waren die Gegendemonstranten den Teilnehmern am Jerusalem Pride sogar zahlenmäßig weit überlegen. 2005 versuchte die Stadt sogar, diesen Marsch zu verbieten. 2006 gab es gewatsame Angriffe auf die Teilnehmer des Jerusalem Pride, vor allem durch ultraorthodoxe Nachbarn. Diese riefen wie auch einzelne Politiker dazu auf, Lesben und Schwule öffentlich zu steinigen, wie es angeblich in der Thora stünde. Über die Jahre hinweg hat sich die Gegenwehr des Pride zurückgezogen, aber noch immer besteht ein Restrisiko für alle Teilnehmer.

Im Open House gibt es immer wieder neue Projekte, so z.B. seit der nahen Vergangenheit wöchentliche Treffen für Jugendliche zusammen mit einem Betreuer, bei der oft Probleme und erlebte Diskriminierungen besprochen und aufgearbeitet werden.

Es war zur Gründungszeit des Open House auch völlig undenkbar, auf irgendeinem Gebäude die Regenbogenfahne zu hissen. Canning und seine Mitarbeiter begannen damit auf ihrem Gebäude und zunächst wurde jeden Tag ihre Fahne niedergebrannt. Jeden Tag hissten sie eine neue. Und sie wurde wieder niedergebrannt. Doch nach langer Zeit hing die Fahne dann manchmal zwei Tage lang oder drei. Die Zeitspanne bis zum erneuten Verbrennen der Fahne wurde immer länger. Und seit nun fast zwei Jahren hängt die Fahne über dem Open House unbeschädigt. Dies ist ein Symbol für die allgemeine Situation in Jerusalem. Man muss mit sehr viel Geduld und Beharrlichkeit arbeiten, um Schritt für Schritt das Denken und somit auch das Verhalten der Bevölkerung gegenüber dem Thema nicht-Heterosexualität zu verändern.

In Israel ist auch HIV ein großes Problem, gerade für Homosexuelle. Niemand geht dort als nicht-heterosexuelle Person zum Arzt und lässt sich auf HIV testen. Denn dafür müsste man dem Arzt erklären, warum man diesen Test möchte - und das hätte schlimmere Folgen als die Krankheit selbst! Es gab bis zur Eröffnung der “Open Clinic” 2007 keine Möglichkeit, sich in Israel anonym auf HIV testen zu lassen. So kommen auch nicht nur LSBT dorthin, sondern jeder, der sich testen lassen will - bei 1,5 Mio. Einwohnern ohne Alternativmöglichkeit sind das eine ganze Menge.

Tel Aviv wird oft als Paradies für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans* beschrieben. Der CSD dort wird aber hauptsächlich wegen seiner touristischen Wirkung von der Stadt voll finanziert.
Tel Aviv war aber schon immer anders als der Rest von Israel. Schon als Israel kommunistisch organisiert war, gab es in Tel Aviv große Cafés, in denen die Leute “die Bourgeoisie lebten während alle Anderen in Israel arbeiten mussten” (so wurde Tel Aviv damals vom Rest des Landes gesehen). Trotz der Freiheit für LSBT in Tel Aviv gibt es auch gerade dort die gewaltsamsten Reaktionen auf deren Leben, so wurden in den letzten Jahren mehrere Personen schwer verletzt. In Jerusalem ist die Gegenwehr inzwischen viel weniger gewalttätig.

 Die Veranstaltung fand im Rahmen des CSD Potsdam 2014 statt.


 

TelAviv215.04.  - Situationen von LSBT - Menschen in Israel - Talk mit Tom Canning und Andreas Büttner

Tom Canning ist Director of Development at the Jerusalem Open House. Über die Situation von Lesben und Schwulen sowie Transgendern in Israel berichtet Tom Canning in einem Gespräch mit Andreas Büttner (MdL, FDP). Wie passt der "gayPride Tel Aviv" mit den verschiedenen Religionen zusammen? Wie geht es Menschen mit HIV? Welchen täglichen Spagat müssen Lesben und Schwule in einer solchen gefährlichen und von Gewalt betroffenen Region machen, um Leib und Leben zu schützen?

Beide haben sich anlässlich des "gayPride - Tel Aviv" kennengelernt. Derzeit ist Tom Canning auf einer Reise durch Deutschland. Das Büdnis Faires Brandenburg e.V. freut sich, Sie als Gäste zu einem interessanten Abend begrüßen zu können.

Die Veranstaltung fand am 15.04.2014 | 19:30 Uhr im Louise-Henriette-Stift im Holländischen Viertel, Benkertstraße 1, 2. Etage statt.

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